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Wunderbaum: Wo Theater Wirklichkeit wird, und Wirklichkeit Theater

Vor zwei Jahren begann das Theaterkollektiv Wunderbaum mit dem Projekt The New Forest, einer auf vier Jahre angelegten Suche nach Formen einer Gesellschaft der Zukunft. Sereh Mandias sprach mit dem Dramaturgen von Wunderbaum, Tobias Kokkelmans, über dieses ehrgeizige Projekt. “Was als Erzählstrang begann, ist nun bereits Wirklichkeit geworden.”

 

Ein leerstehendes Haus, das Dach des Hofbogens, eine Citroën-Werkstatt, die Provinzstadt Venlo und der Nachtclub Vibes: kein Ort ist zu abwegig für Wunderbaum, um dort zu spielen. An all diesen Plätzen inszenierten Wunderbaum, die seit mehr als einem Jahrzehnt in Rotterdam aktiv sind, schon engagierte Theaterstücke, in denen die Schauspieler in die Rolle von Fußballanhängern, Philosophen oder Sozialhilfeempfängern schlüpfen.

Auch derzeit ist die Agenda voll: Ende April findet die niederländische Premiere von Unser Dorf soll schöner werden statt, wofür Wunderbaum mit dem Regisseur Johan Simons zusammengearbeitet hat. Im Januar (2016) kommt der Film Transition is the Mission heraus und am 26. April ist die Gruppe zu Gast bei Urban Places – Public Spaces, einer Videodebatte über die ideale Stadt, die das Goethe-Institut organisiert hat und bei der Künstler und Experten aus Rotterdam, Johannesburg und München diskutieren werden.

De komst van Xia
De komst van Xia

Krise als Ausgangspunkt

Wunderbaum ist ein Schauspielerkollektiv. Das bedeutet, dass die Schauspieler der Gruppe selbst schreiben und Regie führen. Tobias Kokkelmans ist seit zwei Jahren als Dramaturg dabei. “Als Wunderbaum das Projekt The New Forest begannen, stellten die Schauspieler fest, dass sie für ihre Untersuchungen Unterstützung gebrauchen konnten. Seitdem bin ich am Projekt beteiligt. Wunderbaum wählen für ihre Arbeit stets ein sehr aktuelles Thema oder Problem als Ausgangspunkt. Ich bin dabei so etwas wie ein inhaltlicher Resonanzkörper, der mithilft, die Pläne in einen Kontext einzubetten.”

Wunderbaum wurden 2001, im Jahr von 9/11, gegründet. Anfangs ging es dann auch in vielen Vorstellungen darum, wie die Anschläge die Welt, wie sie gewesen war, in Frage stellten. Kokkelmans: “In den ersten zehn Jahren war Globalisierung ein großes Thema. Wir leben in einer Welt ohne Ideologien, in welche Richtung geht es also? Es war eine Periode von Angst und Rezession, viele sahen nur noch eine große, böse Welt da draußen, in der alles immer nur schlimmer wurde. Aber langsam veränderte sich etwas. In den letzten Jahren begegneten Wunderbaum immer mehr Initiativen, die dem Niedergang etwas entgegensetzen wollten. Darum wollten wir ein Projekt beginnen, das die Krise nicht zum Thema hatte, sondern als Ausgangspunkt nahm. Unsere Frage dabei war: Was können wir der Krise entgegensetzen? Aus diesem Impuls ist The New Forest entstanden.”

Was ist das, The New Forest?
“Wir wollten uns auf die Zukunft richten. Wie sieht die neue Gesellschaft aus? Und was genau ist gesellschaftliche Veränderung? Die Idee hinter The New Forest ist, dass wir am besten selber eine Gesellschaft aufbauen sollten, wenn wir sehen wollen, wie sie funktioniert. Das haben wir mittels Vorstellungen getan, die jede für sich ein großes gesellschaftliches Thema untersuchten, etwa Formen von Governance, das Sozialsystem und die Gesetzgebung.

Vor zwei Jahren haben wir zum Beispiel De komst van Xia (Die Ankunft von Xia) gemacht. Die Vorstellung fand auf dem Dach des Hofbogens, eines ehemaligen Hochbahnviadukts im Rotterdamer Norden, statt. Es ging darum, wie man so ein Gebiet gestalten kann. Was macht man mit einem solchen Ort? Inwieweit können die Menschen aus der Nachbarschaft dabei mitentscheiden? In De komst van Xia haben wir eine ganze Reihe Modelle nebeneinander gestellt, von Plato bis hin zum Metamodernismus. Auf diese Weise wollten wir vor allem viele Fragen aufwerfen. Wie verhalten sich Bürger zu einem solchen Ort und zueinander?“

Gesellschaftliche Veränderungen, Formen von Governance, das Sozialsystem: das sind Themen, über die in allen möglichen Fachgebieten nachgedacht wird. Was kann das Theater beisteuern?
“Im Theater ist es möglich, sich Problemen auf andere Weise zu nähern. Man kann das Problem erzählerisch darstellen und ihm mittels der dramatischen Figuren ein Gesicht geben. So kann man sehr abstrakte Dinge in nur einer einzigen Szene dreidimensional veranschaulichen. Das ist überhaupt das Schönste: wenn es gelingt, ein Problem in ein Bild zu fassen. Bei Wunderbaum kann man außerdem oft auch noch herzhaft lachen, etwa weil man etwas wiedererkennt oder weil die Absurdität des Ganzen deutlich wird. Theater kann gesellschaftliche Veränderungen nicht zum Guten wenden, wohl aber kann es der Welt einen Spiegel vorhalten. Theater ist eine Möglichkeit, die Welt zu erklären, allerdings nicht in einer PDF-Datei.“

Das Projekt The New Forest ist auf vier Jahre angelegt, ihr seid nun auf der Hälfte. Was habt ihr bis jetzt entdeckt?
„Wir arbeiten nicht auf ein konkretes Ziel hin. Das Projekt entwickelt sich organisch. Was wir auf jeden Fall bemerken, ist, dass es nicht funktioniert, wenn wir fertige Antworten formulieren. Das führt zu einer paternalistischen Haltung, auf die die Zuschauer absolut keine Lust haben. Wir versuchen darum, unsere Vorstellungen so offen wie möglich zu halten. Dann fangen Menschen an, nachzudenken. Außerdem sind wir allmählich davon abgekommen, Vorstellungen über nur ein Thema zu machen, dafür sind die Themen zu umfassend und zu abstrakt. Das haben wir umgedreht. Die ganze Zeit geht es um gesellschaftliche Veränderungen, aber sind wir selbst nicht auch eine Gruppe, die sich verändert? Müssen wir nicht viel mehr von uns selber ausgehen? Wie können wir das als Kollektiv tun? Wir haben also aus den abstrakten Begriffen eine persönliche Spurensuche gemacht.“

Wie muss ich mir das vorstellen?
“Vielleicht ist der Film Transition is the Mission ein gutes Beispiel. In diesem Film hören die Schauspieler mit der Schauspielerei auf, um etwas im echten Leben zu bewirken. Jeder Schauspieler hat ein Projekt. Matijs zum Beispiel entwickelt eine App für Gemüsegärten in der Stadt: “Tuinder”. Mit diesem App können Menschen nicht sich selbst, sondern ihre Karotten oder Ähnliches anbieten. Er beginnt das Projekt mit sehr idealistischen Vorstellungen, aber dann bekommt er ein Angebot von einer großen Supermarktkette. Schlussendlich gibt Matijs dem Projekt eine vollständig kommerzielle Ausrichtung, wodurch ihn die Gruppe im Endeffekt ausschließt.”

“Ein anderes Beispiel ist Marleen. Sie eröffnet eine “Tränenbar”, ein japanisches Café-Konzept, das den Besuchern erlaubt, dem Positivitätswahn unserer Gesellschaft, in der wir immer alles liken müssen, zu entfliehen. Die Tränenbar ist ein Ort für schwermütige und negative Gedanken. Aber nach einiger Zeit wird die Stimmung in der Bar fröhlicher und es wird auch mehr gelacht.”

“In dem Film geht es also darum, was passiert, wenn man eine im Prinzip gute Idee hat, die dann aber noch Realität werden muss. Alle vier Personen werden durch ihre eigenen Emotionen oder ihre Heuchelei eingeholt. Das ist also eine viel persönlichere, menschlichere Herangehensweise an die Idee von gesellschaftlicher Veränderung.”

Die Grenzen, die ihr aufzeigt, sind also nicht extern, sondern sie verlaufen im Menschen selbst?
“Genau. Das ist sehr wichtig, sonst spricht man nur über Abstraktionen. Wir haben gemerkt, je persönlicher man es macht, umso universeller wird es.”

Wenn ich es richtig verstehe, dann liegt der Film irgendwo zwischen Realität und Fiktion.
“Damit spielt der Film in der Tat viel. Das passt zu Wunderbaum. Im Film hören die Personen mit dem Schauspielern auf, um etwas im echten Leben zu machen, aber das wird dann wiederum gefilmt. Ist es den Schauspielern dann überhaupt noch möglich, nicht zu schauspielern? Stop acting, start acting – das ist ein Paradox. Allerdings sind manche der Erzählstränge, die wir uns für den Film ausgedacht haben, Wirklichkeit geworden. Das Tuinder-App scheint so eine gute Idee zu sein, dass nun Investoren daran interessiert sind. Was als Erzählung begann, wird nun Wirklichkeit. Manchmal wissen wir es selbst auch nicht mehr so ganz genau.”

De komst van Xia
De komst van Xia

Nicht nur das Arbeiten an der Grenzfläche zwischen Fiktion und Realität ist typisch für die Werke von Wunderbaum, sondern auch ihre Zusammenarbeit mit modernen Wissenschaftlern und Denkern. Das Konzept für das nächste Projekt von Wunderbaum Unser Dorf soll schöner werden entstand aus Gesprächen mit dem Transformationsforscher Jan Rotmans und dem Soziologen Willem Schinkel.

“Wir fragten sie, wie ihrer Meinung nach die Zukunft aussehen sollte. Da sind die Menschen oft verschiedener Meinung. Rotmans erzählt einem dann von Bottom-up-Unternehmerschaft, während Schinkel die Idee vom Menschen als Unternehmen für eine neoliberale Floskel hält, die die Ungleichheit zwischen den Menschen nur vergrößert.”

“Das fanden wir interessant. Das sind Menschen, die davon sprechen, wie die Welt aussehen sollte, aber sie können sich gleichzeitig nicht untereinander einig werden. Davon handelt die Vorstellung: von Menschen, die in einem großen Sturm ohne Paddel auf einem sprichwörtlichen Boot sitzen und nur ihre Worte haben, um Kurs zu halten.”

Homebase

Unser Dorf soll schöner werden ist eine Zusammenarbeit mit Johan Simons, der momentan Intendant der Münchner Kammerspiele ist und ab 2017 das Theater Rotterdam leiten wird, dem auch Wunderbaum angehört. Simons und Wunderbaum sind am 26. April zu Gast in der vom Goethe-Institut organisierten Debatte Urban Places – Public Spaces, eine Live-Videokonferenz zwischen Johannesburg, Rotterdam und München mit dem Thema “Was ist die gute Stadt?”. Ein Thema der Diskussion sind die unsichtbaren Grenzen, die sich nicht nur in Südafrika nach dem Ende der Apartheid durch die Städte ziehen, sondern auch in München und Rotterdam.

Zusammen mit dem Architektenbüro ZUS wird Wunderbaum in Rotterdam auf dem Podium sitzen, während Johan Simons von München aus teilnimmt. Kokkelmans: “Rotterdam ist unsere Homebase. Es ist eine Stadt, die sich sehr stark auf die eigene Zukunft konzentriert und manchmal zu wenig Bewusstsein hat für die Vergangenheit. Wir treten oft im Ausland auf, aber Rotterdam ist immer die Stadt, auf die wir uns beziehen.”

Du hast erwähnt, dass Theater nicht probieren sollte, Antworten zu geben. Wie verhältst du dich dann in so einer Debatte?
“Wir diskutieren darüber, wie man als Künstler diese Themen angehen kann. Es geht also nicht darum, eine definitive Antwort zu formulieren, sondern darum, Probleme aufzuzeigen. Kunst ist die Shuffle-Funktion der Kultur, wobei ich mit “Kultur” alles meine, was wir machen, von den Traditionen, die wir an unsere Kinder weitergeben, bis hin zur letzten Mode. Kunst bringt Dinge in Verbindung, die nicht per se in Verbindung stehen, wodurch man beginnt, über Kultur nachzudenken. Wir wollen mit unserer Vorstellung diese Shuffle-Funktion sein. In unserer Debatte geben wir also nicht Antwort darauf, was eine gute Stadt ist, sondern wir gebrauchen De komst van Xia als Beispiel. An Hand von diesem Beispiel zeigen wir, worüber Menschen bei diesem Thema nachdenken und was ihnen dann als schwierig erscheint.

Am Ende dann aber doch die Frage: Was ist eine gute Stadt?
“Das ist schwer zu beantworten. Ich finde schon, dass Rotterdam eine gute Stadt ist. Auch eine schwierige Stadt. Ich finde es zum Beispiel schade, dass ich nichts vom Rotterdamer Süden mitbekomme, dass die Teilung so groß ist. Aber das Gute ist, dass man hier so einfach etwas Neues beginnen kann. Es gibt viel Spielraum für neue Ideen. Es ist eine Stadt, die für neue Impulse offen steht.”

Übersetzung aus dem Niederländischen: Stella Rieck und Claudia Curio

Was ist die gute Stadt? Eine globale Debatte

Urban Places – Public Spaces 1 findet am 26.April um 11.00 Uhr im Goethe-Institut Rotterdam statt. (Karten können unter [email protected] reserviert werden.) Unser Dorf soll schöner werden ist am 28. und 29. April in der Rotterdamse Schouwburg zu sehen. Für die Vorstellung am 29. April gibt es noch Karten.

Dieser Artikel wurde von der Goethe-Institut ermöglicht.

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